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Zwei Herzen in einer Brust

Episode 22

„Mama, ich will Flöte spielen!“, eröffnet mir vor kurzem die Zwergenprinzessin. „Wie kommst du denn auf diese Idee?“, frage ich erstaunt. Wir hatten noch nie über Musikunterricht gesprochen. Kreativer Kindertanz, ja. Schwimmkurs, Pfadi, und Schlittschuhlaufen: check. Die Zwergenprinzessin ist mit fünf Jahren schon ein vielbeschäftigtes Persönchen. Jetzt auch noch Flöte? Hat sie denn nie genug? „Du machst doch schon so viel…“, versuche ich einzuwenden, „und Instrumente lernt man spielen, wenn man in die Schule geht.“ – „Nein, ich will jetzt! Und sowieso stimmt das nicht: Anna spielt auch Flöte und ist mit mir im Kindergarten.“ Aha, jetzt weiss ich wenigstens, woher der Wind weht. „Geht Anna denn in die Flötenstunde oder spielt sie einfach so?“ – „Sie geht in die Stunde. Und ich will auch!“ Ich runzle die Stirn und blicke ihr tief in die Augen. „Ehrlich, frag doch ihre Mama! Ruf sie an und frag sie gleich, wo die Flötenstunde ist. Und da will ich dann auch hin.“ Hui, da ist jemand aber entschlossen. Die Sache muss offensichtlich schon ein Weilchen herumschwirren in dem sturen kleinen Köpfchen. Ich reisse ein hartes Ablenkungsmanöver und hoffe, dass morgen alles wieder vergessen ist.

Ist es natürlich nicht. Weder am nächsten Tag noch nach einer Woche. Also rufe ich irgendwann Annas Mama an. Dabei stellt sich zwar heraus, dass Anna Geige und nicht Flöte spielt, aber dass sie darin Unterricht bekommt, stimmt. Und siehe da, nach ein paar Recherchen erwacht die Tiger-Mom auch in mir. Offensichtlich geniessen Zwerge heutzutage selbstverständlich instrumentale Früherziehung, denn das Angebot ist gross. Warum es also meiner Draufgängerin vorenthalten? Sie soll ihre Chance bekommen, beschliesse ich. Doch sie muss etwas anderes aus dem Programm streichen. Sonst droht der Kollaps.

Als ich ihr die Sachlage erkläre, ist sie hin- und hergerissen. Endlich rückt die Flöte in greifbare Nähe – doch etwas anderes dafür aufgeben? Schwierig. Schrecklich. Gedankenversunken liegt sie auf dem Sofa. Ich kann sehen, wie das Köpfchen raucht vor Anstrengung. Endlich sagt sie etwas: „Weisst du, es macht alles so viel Spass… und… “. Stille. Sie überlegt wieder. Nach einer langen Pause dann: „Also eigentlich ist es zu Hause ja am allerschönsten. Hier, bei dir…“ – „Wie bitte?!? Wie meinst du das?“ – „Ja, einfach nur zu Hause sein…“ Meine Güte! Das Dilemma hat also noch eine ganz andere Tragweite. Wenn man doch bloss die Welt erkunden, erleben, ja erobern könnte, ohne jemals Mamas Schoss zu verlassen… Haben wir uns das nicht alle gewünscht? Ich bin so perplex, ich weiss gar nicht, was ich sagen soll. Muss ich auch nicht. Denn da steht sie schon wieder auf, postiert sich vor mich und beschliesst: „Flöte ja, Schwimmen nein. Ok, Mama?“ So sei es. Das Zwerglein hat gesprochen.

PS: Und wenn sie einfach mal zu Hause bleiben möchte, dann ist das auch okay…

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