Episode 19
Zwerge von heute putzen ihre Zähne noch bevor sie überhaupt denken können. „Vom ersten Zahn an!“, heisst die Devise und ich erinnere mich noch an mein Erstaunen, als mir vom Kinderarzt die erste Zahnbürste für meinen sechs Monate alten Zwerg überreicht wurde. „Zum Angewöhnen“ sei das Ding, das eher aussah wie ein Beissring mit ein paar Borsten. Wir nahmen es brav mit nach Hause.
Es funktionierte: Die Zwerge reinigten fleissig ihre ersten Beisserchen. Sie kannten nichts anderes. Sie sprangen manchmal sogar panisch wieder aus dem Bett auf und rannten ins Badezimmer, weil sie vergessen hatten, die Zähne zu putzen. Zu gross war die Angst vor den bösen Zahnteufeln, die sich sonst nachts an ihren Zähnchen zu schaffen machen könnten.
So funktionierte die Kariesprophylaxe lange Zeit hervorragend. Das Ritual war eingefleischt. Bis die Zwerge anfingen, es zu hinterfragen. Wer waren diese Zahnteufel genau und wie kamen sie in den Mund? Und wie können Zähne schwarz werden und Löcher kriegen? Sie hatten so etwas nämlich noch nie gesehen. Menschen mit kaputten, schwarzen Zähnen trifft man heute so gut wie gar nicht mehr an. Und der Räuber Hotzenplotz zählt ja wohl nicht wirklich. Sogar der gefürchtete Zahnarztbesuch, der mich als Kind noch zum Putzen motivierte, macht heute nicht mehr wirklich Angst, sind die Zahnärzte doch inzwischen alle kindergerecht eingerichtet und furchtbar nett.
Ich war also ziemlich hilflos und wich aus auf die Es-ist-nun-mal-so-Methode: „Ihr putzt euch einfach die Zähne, weil es wichtig ist! Alle Leute tun das.“ Das funktionierte zwar, war aber nicht wirklich überzeugend. Und es musste vor allem jeden Abend wiederholt werden. Bis endlich meine Rettung kam. Das war, als Tony, der arme Mops, eines Tages Zahnschmerzen kriegte. Ein kurzer Blick der Tierärztin in seinen Mund genügte, um den dringenden Handlungsbedarf zu erkennen. „Hier müssen einige Exemplare raus“, erklärte sie. „Die können wir nicht mehr retten“. Nach der Behandlung, Tony war gerade aus der Vollnarkose erwacht, fragte mich die Ärztin, ob ich die Zähne sehen wolle, die sie gezogen hatte. Ich blickte fasziniert auf die schwarzen, von Zahnstein und Karies zerfressenen, ekligen Stummelchen. „Oh ja“, antwortete ich, „die will ich sogar mit nach Hause nehmen! Ich glaube, ich muss sie jemandem zeigen…“ Seither geht es uns allen besser und das Zähneputzen wieder von allein.